St. Martinssäule
St. Martinssäule
Jürgen Goertz, 1984, Bornze, 345 cm
Beschreibung
Mit historischen Fäden sind hier Formgedanke und Motiv an alte Engener Traditionen geknüpft. Der Heilige St. Martin, der den Armen gibt, nicht aus der Fülle sondern durch geteilten Mangel, war der Kirchenpatron der ursprünglichen Pfarrkirche im Altdorf, eine der ältesten Martinskirchen im Lande, und ist auch heute noch einer der drei Patrone der Kirche. Angelehnt an ein altes, städtisches Requisit, die Litfasssäule, übernimmt der Brunnen eine informierende Funktion und deutet auf die Unempfindlichkeit im Menschlichen Miteinander hin. Als Feuerwerk an Zeitkritik, jedoch ohne zu provozieren steht der 1,5 t schwere, aus Bronze und Kunststoff gegossene St. Martinsbrunnen an exponierter Stelle, umgeben von einem Ring rauer Kalksteinhocker. Doch will die weitgehend realistisch ausgearbeitete Brunnenplastik keinen dogmatischen Symbolismus präsentieren – es sind vielmehr die Widersprüchlichkeiten der heutigen Zeit, die in der Plastik sichtbar gemacht werden.
Die Not ist nun nicht mehr die eines einzelnen, sondern der Künstler Jürgen Goertz greift die heutigen Nöte vieler auf, die mannigfaltige Bedrohung der Menschen, die sich in den einzelnen Szenen des Halbreliefs verdichten und sich rhythmisch um die ganze Säule erschließt. Goertz konfrontiert Symbole der Überflussgesellschaft mit dem totalen Elend und konkretisiert die Darstellung von aktuellen, existenziell wichtigen Problembereichen des ausgehenden 20. Jahrhundert. Verzerrtheit und Zerrissenheit der Menschenwürde führt er auf, Suchtdarstellungen, einen schäumenden Bierkrug der über einem halbtoten Trinker steht, deutet bereits Alkoholismus und Überfluss an. Unter der Bildgruppe heben sich die knochigen und abgemagerten Ärmchen eines Kindes einem unerreichbaren Brot entgegen. Ein Kruzifix neigt sich uns zu – oder wird es gestürzt? Das Schlüsselkind, Symbol einer kinderfeindlichen Gesellschaft blickt ins Leere. Und auch vor Flora und Fauna macht die Zerstörung des Menschen keinen Halt: Ein Baum ohne Krone und mit abgeschlagenen Wurzeln demonstriert die Not der natürlichen Kreatur. Sein welkes Blattwerk setzt das Motiv der Ermahnung fort. Ein Vogel sucht Schutz im geborstenen antiken Blattwerk, zerstückelt ist das technische Winkelmaß – eine „maßlose“ Gesellschaft gerät aus den Fugen. Mit starren Augen lässt die Eule die Nacht auf sich zukommen. Wie Tränen sickert das Brunnenwasser aus den feinen Düsen.
So ist auch dieses Werk von Jürgen Goertz ein Kunstwerk, das nicht zur Besinnlichkeit als viel mehr zur Besinnung aufruft. Die Martinssäule will nicht nur anklagen, sondern auch
Symbol der Umorientierung und der Hoffnung sein. Der Künstler bindet die Forderung nach mehr Nächstenliebe in das heutige Zeitgeschehen ein und so nimmt auch die Legende vom Heiligen St. Martin aktuellen Bezug zu der heutigen Überflussgesellschaft.